Glossar

Vertikale Stabilitätsmaße

Grundlagen

In guter Näherung verlaufen viele Vertikalbewegungen in der freien (trocken & reibungsfrei) Atmosphäre adiabatisch-reversibel, also isentrop ab. Mit dem dadurch stark vereinfachten 1. Hauptsatz der Thermodynamik (in Enthalpieform) und der hydrostatischen Grundgleichung errechnet sich somit auf einfache Weise der individuelle trockenisentrope (vertikale) Temperaturgradient, welcher die Abnahme der Temperatur eines LAGRANGE`schen Luftpaketes mit der Höhe beschreibt. In der Literatur wird dieser Quotient aus der Schwerebeschleunigung und der spezifischen Wärmekapazität der Luft bei konstantem Druck zumeist als individueller trockenadiabatischer Temperaturgradient bezeichnet, was aber aufgrund der Reversibilität nicht ganz vollständig ist. Der individuelle isentrope Temperaturgradient beträgt 0,98 K/100m.
Ebenso ist es möglich (durch eine leichte äquivalente Umformung) bei einer solchen (isentropen) Bewegung die Werte von Temperatur und Druck eindeutig ineinander umzurechnen. Ferner ist es in diesem Zusammenhang sinnvoll zusätzlich eine Temperatur in Bezug auf eine Referenzdruckfläche zu definieren. Als Referenzdruckfläche wurde die 1000 hPa Fläche gewählt, da sie im flachen Terrain die erste Hauptdruckfläche darstellt. Diese Temperatur wird als potentielle Temperatur bezeichnet. Sie ist per Definition bei einer trockenisentropen Bewegung eine Erhaltungsgröße und damit das meteorologische Analogon zur in der Physik zumeist verwendeten Entropie.

Einfaches vertikales Stabilitätsmaß mit Hilfe vertikaler Temperaturgradienten

Von Interesse ist es nun, wie sich diese beiden für eine isentrope Atmosphäre repräsentativen Größen (individueller isentroper Temperaturgradient, potentielle Temperatur) gegenüber denen der aktuellen Atmosphäre verhalten. Darüber kann man die so wichtige Aussage über die Schichtung der trockenen Atmosphäre gewinnen.
Die tatsächliche Abnahme der Temperatur mit der Höhe wird mit dem geometrischen (vertikalen) Temperaturgradienten beschrieben. Die Differenz zwischen individuellem trockenisentropen Temperaturgradient und dem (tatsächlichen) geometrischen vertikalen Temperaturgradient gilt als ein Stabilitätsmaß der Atmosphäre.
Ist die Differenz positiv, also der individuelle trockenisentrope Temperaturgradient größer als der geometrische, dann liegt statische Stabilität vor. Dies wird auch als trockenstabil bezeichnet. Ein vertikal ausgelenktes Luftpaket wird bei Aufsteigen stetig kühler als seine aktuelle Umgebungstemperatur (die der geometrische Temperaturgradient ja vorgibt) und ein absinkendes Luftpaket ist demzufolge auch stets wärmer als seine Umgebung. Nach dem ARCHIMEDISCHEN Prinzip erfährt das zu kalte Luftpaket einen Abtrieb, während das zu warme Luftpaket einen Auftrieb verspürt. Daher wirkt eine trockenstabile Schicht dämpfend auf Vertikalbewegungen. Für den Fall der Gleichheit beider Temperaturgradienten liegt eine trockenneutrale oder trockenindifferente Schichtung vor. Ein vertikal bewegtes Luftpaket hat somit immer die gleiche Temperatur (und damit auch Dichte) wie seine Umgebung, so dass hier kein ARCHIMEDISCHER Auf- oder Abtrieb angeregt wird.
Im letzten Fall der Trockeninstabilität übertrifft der geometrische den individuellen trockenisentropen Temperaturgradienten, so dass die Differenz beider negativ wird. Dieser Fall kann genau invers zur statischen Stabilität diskutiert werden. Aufsteigende Luftpakete erwärmen sich schneller als die Umgebungstemperatur und werden somit archimedisch beschleunigt. Gleiches gilt für absinkende Luftpakete. Auch diese sind nun kälter als ihre umgebende Temperatur und können daher fortan beschleunigt absinken. Diese Schichtung wird auch als trockenlabil bezeichnet.

Abgeleitete Stabilitätsmaße der trockenen Atmosphäre

Nun lassen sich mit Hilfe der vorangegangenen Überlegungen und der Definition der potentiellen Temperatur weitere interessante Stabilitätsmaße berechnen. So erkennt man schnell, dass der vertikale Gradient der potentiellen Temperatur proportional zur Differenz zwischen individuellem trockenisentropen Temperaturgradient und dem (tatsächlichen) geometrischen Temperaturgradient ist und somit ebenfalls ein Stabiltätsmaß darstellt. Als Proportionalitätsfaktor fungiert hier der Quotient aus potentieller und absoluter Temperatur. Das heißt konkret, nimmt die potentielle Temperatur mit der Höhe zu, so liegt statische Stabilität vor. Ist die potentielle Temperatur höhenkonstant, so ist die trockene Atmosphäre indifferent geschichtet. Eine trockenlabile Schichtung liegt demnach vor, wenn der vertikale Gradient der portentiellen Temperatur negativ ist. Direkte Anwendung findet diese Größe z.B. bei der Berechnung der isentropen potentiellen Vorticity.

Ein drittes sehr wichtiges Stabilitätskriterium gewinnt man aus der physikalischen Anschauung, dass eine gedämpfte Vertikalbewegung einer Schwingung entspricht. Dabei fungiert die atmosphärische Schichtung als meteorologisches Analogon zur rücktreibenden Kraft. In der Meteorologie bezeichnet man diesen Vorgang daher auch als vertikale Trägheitsschwingung. Die Frequenz einer vertikalen Trägheitsschwingung wird nach den Entdeckern als BRUNT-VÄISÄLÄ-Frequenz N bezeichnet. Mit Hilfe eines einfachen Schwingungsansatzes lässt sich nun diese Frequenz auch rechnerisch bestimmen.
Dabei ist N² ebenso proportional zur Differenz zwischen individuellem trockenisentropen Temperaturgradient und dem (tatsächlichen) geometrischen Temperaturgradient. Somit ergibt sich für eine positive BRUNT-VÄISÄLÄ-Frequenz die Trockenstabilität. Eine indifferente Schichtung ist bei N=0 vorhanden. Im trockenlabilen Fall wird N imaginär. Dies ist physikalisch auch sehr anschaulich, da vertikale Bewegung keiner (dämpfenden) rücktreibenden Kraft im trockenlabilen Falle mehr unterliegen, so dass der Begriff Trockeninstabilität plausibel wird.
Als Beispiel sei hier die stets stabil geschichtete isotherme Atmosphäre genannt, wo die Schwingungsdauer ca. 6 Minuten beträgt.

Für die Herleitung der Quasigeostrophischen Gleichungen wurde aus dem 1. Hauptsatz für isentrope Bewegungen ein weiteres wichtiges Stabilitätsmaß gewonnen. Dieses als Sigma bezeichnte Stabilitätsmaß ist natürlich auch proportional zur Differenz zwischen individuellem trockenisentropen Temperaturgradient und dem (tatsächlichen) geometrischen Temperaturgradient. Ebenso lässt sich natürlich durch äquivalente Umformungen ein Zusammenhang zur BRUNT-VÄISÄLÄ-Frequenz gewinnen. Bei positivem Sigma liegt statische Stabiltät vor. Ist Sigma=0, so ist die Atmosphäre neutral geschichtet. Ein negatives Sigma deutet auf Trockeninstabilität hin.
Die Benutzung von Sigma erweist sich bei der Omegagleichung und Geopotentialtendenzgleichung als sinnvoll, da sie diese ohnehin schon recht langen Gleichungen etwas vereinfacht.

Vertikale Stabilität in feuchter Atmosphäre

Alle bisherigen Betrachtungen sind von der vereinfachten Annahme einer komplett trockenen Atmosphäre ausgegangen. Der Partialdruck des Wasserdampfes macht zwar im Mittel nur ca. ein Prozent des gesamten Luftdrucks aus und geht in die Massenbilanz der Atmosphäre noch geringer ein, allerdings hat Wasser(dampf) aufgrund seiner enormen spezifischen Wärmekapazität eine keineswegs zu vernachlässigende Wirkung bei allen energetischen Betrachtungen. Zu diesen gehört natürlich auch die atmosphärische Schichtung, die ja für den trockenen Fall aus dem 1. Hauptsatz der Thermodynamik abgeleitet wurde.
Wasser hat die Eigenschaft in der Troposphäre in allen drei Aggregatzuständen aufzutreten und besonders interessant in diesem Zusammenhang ist dabei die Energetik bei Wechsel des Aggregatzustandes. Bei einem Übergang von einem energetisch niedrigen in einen energetisch höheren Aggregatzustand (Schmelzen, Verdunsten/Verdampfen, Sublimation) müssen intermolekulare Bindungskräfte gelockert und/oder gelöst werden, so dass hierfür natürlich Energie gebraucht wird. Die meiste Energie wird natürlich beim Sublimieren benötigt, da hier der flüssige Zustand direkt übersprungen wird. Aber auch der Wechsel vom flüssigen in den gasförmigen Aggregatzustand benötigt fast siebenmal soviel Energie wie das Schmelzen einer gleich großen Wassermenge. Dies ist anschaulich auch verständlich, denn beim Verdunsten/Verdampfen müssen die Wassermoleküle komplett aus ihrem engen molekularen Korsett gelöst werden. Die benötigte Energie wird also bei diesen Vorgängen der Atmosphäre "entzogen" und latent im neuen Aggregatzustand des Wasser(dampfes) gespeichert. Oft wird in diesem Zusammenhang von "Verdunstungskälte" gesprochen.
Beim Wechsel in einen energetisch niedrigeren Aggregatzustand (Kondensation, Gefrieren, Resublimation) wird die im Wasser(dampf) "versteckte" latente Energie natürlich wieder freigesetzt und an die Atmosphäre abgegeben. Vor allem der Begriff "Kondensationswärme" wird hierbei häufig verwendet.

Da Luft die Eigenschaft besitzt mit zunehmender Temperatur auch mehr Wasserdampf speichern zu können, liegt nun der Einfluss von Wasser(dampf) auf die vertikale Schichtung der Atmosphäre praktisch auf der Hand. Wie bereits gezeigt wurde, kühlt sich ein Luftpaket bei (isentroper) Aufwärtsbewegung in der Größenordnung des individuellen (isentropen) Temperaturgradienten (0,98 K/100m) ab. Je nach Ausgangsfeuchte wird dieses Luftpaket nun irgendwann den Sättigungspunkt erreichen. Steigt das Luftpaket weiter auf, so kommt es zur Kondensation. Bei diesem Übergang in einen energetisch niedrigeren Aggregatzustand wird natürlich die latente Energie des Wasserdampfes freigesetzt, so dass sich das Luftpaket bei seiner Aufwärtsbewegung nun nicht mehr so stark abkühlt wie bei einem rein trockenisentropen Vorgang. Dennoch kann für feuchtisentrope Prozesse kein eindeutiger (konstanter) individueller vertikaler Temperaturgradient bestimmt werden, da dieser von der Menge Wasserdampf und damit von der Temperatur des Luftpakets selbst abhängt. Da warme Luft mehr Wasserdampf aufnehmen kann als kalte, ist der individuelle feuchtisentrope Temperaturgradient in warmer Luft auch geringer als in kalter Luft. In den mittleren Breiten liegt er im Sommer bei ca. 0,4-0,5 K/100m und im Winter bei ca. 0,6-0,8 K/100m. Selbstverständlich ist dieser Prozess auch bei einem absinkenden feuchten Luftpaket zu beobachten. Hier wird der Atmosphäre beim Verdunstungsvorgang Energie entzogen, so dass sich die Temperatur des feuchten Luftpakets beim Absinken nur in der Größenordnung des feuchtisentropen Temperaturgradienten erhöht.

Mit Hilfe dieser Vorbetrachtungen wird nun offensichtlich, dass die eingangs getroffenen Annahmen zur vertikalen (Trocken)stabilität noch modifiziert werden müssen, da sie die Energetik der Feuchteprozesse nicht enthalten.
Der besseren Anschauung wegen, ist es sinnvoll sich dies an einem Beispiel klar zu machen. Wir betrachten ein feuchtes, aber ungesättigtes Luftpaket im Bodenniveau. Dieses wird nun vertikal ständig nach oben bewegt (z.B. durch ein orographisches Hindernis). Zunächst kühlt es sich dabei trockenisentrop um 0,98K/100m. Erreicht der Partialdruck des Wasserdampfes seinen Sättigungsdampfdruck (dies ist bei 100% relativer Luftfeuchte der Fall), so beginnt der im Luftpaket enthaltende Wasserdampf sukzessive auszukondensieren. Folgerichtig kühlt sich das Luftpaket trotz anhaltender Vertikalbewegung nun nicht mehr so stark ab. Erst wenn der komplette Wasserdampf kondensiert ist, erfolgt die weitere Abkühlung wieder trockenisentrop. Die Hebungskurve eines Luftpakets beginnt also trockenisentrop, ist danach feuchtisentrop bis sämtlicher Wasserdampf kondensiert ist und setzt sich danach trockenisentrop fort. Diese Hebungskurve beschreibt demnach den realen vertikalen individuellen feuchtisentropen Temperaturgradient, welcher natürlich kein konstanter Wert mehr ist sondern einer Höhen- und Feuchteabhängigkeit unterliegt. Dieser ist nun analog zu den Überlegungen für die Stabilität der trockenen Atmosphäre wieder mit dem (tatsächlichen) geometrischen vertikalen Temperaturgradient zu vergleichen, welcher durch eine Schichtungskurve zu beschreiben ist. Eine Schichtung, bei der der reale vertikale individuelle feuchtisentrope Temperaturgradient größer ist als der geometrische Temperaturgradient, bezeichnet man als feuchtstabil. Die Gleichheit beider Gradienten zeugt von feuchtindifferenter Schichtung. Der feuchtlabile Fall ergibt sich bei einem größeren geometrischen Temperaturgradienten.
So ist es bei letzt genanntem Fall möglich, dass die Atmosphäre zwar feuchtlabil, aber zugleich auch trockenstabil geschichtet ist. Anschaulich beschreibt dies ein Luftpaket, welches ohne Einsetzen von Kondensation oder Verdunstung dämpfend auf Vertikalbewegungen reagiert. Kommt es jedoch zu Kondensation oder Verdunstung, so erfährt eine Vertikalbewegung zusätzliche Beschleunigung. Dieser Schichtungstyp wird daher oftmals auch als bedingte Labilität bezeichnet. Da der trockenlabile Fall oftmals nur in den untersten Schichten durch starke Überhitzung des Bodens in Folge hoher Sonneneinstrahlung auftritt, wird eine feuchtlabile Schichtung oftmals auch nur labile Schichtung genannt, obwohl korrekterweise die Atmosphäre bedingt labil geschichtet ist.

© Marcus Boljahn, Sebastian Unger

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